Seit 1980 entwickelt sich die Verschreibungsflut des Opioid Oxycodon und seit 2016 des weitaus potentere Fentanyl in den USA zu einer endemischen Gefahr für Leib und Leben. Die Schmerzmittel bergen ein großes Risiko für eine Abhängigkeit und erst 2019 starben weit über 40.000 Menschen an einer medikamenteninduzierten Überdosis. Nicht zu Unrecht also als Opioid-Krise bezeichnet, erreicht die Problematik jede Ecke der US-Gesellschaft, zerstört Familien und bringt auch das fragile Gesundheitssystem der Staaten in immer größere Bedrängnis.

von Madeleine Eger

„Crisis“, der neue Film von Nicholas Jarecki („Arbitrage – Macht ist das beste Alibi“), greift die hochaktuelle Thematik auf und versucht mit Starbesetzung das Geschäft mit den Schmerzmitteln und die daraus entstehenden Leiden aus allen Blickwinkeln zu beleuchten und damit die Verstrickungen aufzudecken, die den Kampf, die Lage in den Griff zu kriegen, aussichtslos erscheinen lassen.

DEA Agent Jake Kelly (Armie Hammer) arbeitet undercover, um mit Hilfe eines großen Drogenschmuggels den Drahtziehern zweier mächtiger Drogenkartelle das Handwerk zu legen. Seine Motivation ist dabei auch persönlicher Natur, denn seine Schwester Emmie (Lilly Rose Depp) macht gerade ihren Entzug durch. Unterdessen ist Architektin Claire Reimann (Evangeline Lilly) zurück im Leben angekommen und konnte ihre Oxycodonsucht hinter sich lassen. Dann jedoch verschwindet ihr Sohn spurlos und Claire wittert nach ersten Hinweisen einen Verdacht, der Schreckliches für sie offenbart. Währenddessen hat Biologieprofessor Dr. Brower (Gary Oldman) Probleme, seine Studienergebnisse mit seinem Gewissen zu vereinbaren, denn das untersuchte Schmerzmittel hält das Versprechen des weitaus geringerem Suchtpotenzials im Vergleich zu Oxycodon nicht und würde mit Zulassung die Opioid-Krise sehr wahrscheinlich noch weiter zuspitzen.

Nach Filmen wie „Beautiful Boy“ und „Ben is Back“, die beide auf sehr unterschiedliche Weise Opioid-Sucht von Jugendlichen und die Auswirkung dessen auf ihre Familie porträtieren, versucht sich Regisseur Nicholas Jarecki an einer weitaus komplexeren Darstellung und holt dazu gleich eine ganze Riege an großen Namen vor die Kamera. Dabei sind nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die Nebenrollen hochkarätig besetzt. Unter anderem treten nämlich neben Hammer, Oldman und Lilly auch Michelle Rodriguez, Luke Evans, Greg Kinnear und sogar Veronica Ferres auf. Anhand der Fülle der beteiligten Bekanntheiten und der verzweigten Handlung aber lässt sich bereits erahnen, mit welchen dramaturgischen Schwierigkeiten „Crisis“ zu kämpfen haben wird. Drei unterschiedliche Handlungsstränge, die sich im Grunde nur winzige Berührungspunkte teilen, können anhand der Komplexität der einzelnen Schwerpunkte kaum die Verwerflichkeit des Pharmakonzerns, die Skrupellosigkeit der Drogenkartelle, die Hilflosigkeit der Mutter, den schwerwiegenden Gewissenskonflikt oder gar die Dringlichkeit der Bekämpfung der Krise aufarbeiten. Wenngleich Hammer, Lilly und Oldman dabei noch bestrebt sind, das Beste aus ihren dann doch viel zu einseitig angelegten Rollen herauszuholen und zumindest im Rahmen ihrer Möglichkeiten überzeugen können, so avancieren vor allem die Nebencharaktere lediglich zu Figuren, die die Handlung zweckmäßig voran treiben und die Motivationen der Hauptakteure offenlegen.

So sind Entscheidungen der Charaktere und gewisse Höhepunkte innerhalb der Erzählung schnell erahnbar und wenig überraschend. Damit fehlt es dem Thriller schlussendlich an einer gewissen Spannung, dem Drama an Emotionalität. Im Vergleich, wenngleich auch gänzlich andere Ausgangssituation behandelnd, konnten Filme wie „Vergiftete Wahrheit“ oder auch „Spotlight“, die ebenfalls von wahren Begebenheiten inspiriert waren, die brisanten Themen für das Publikum mitreißender und schockierender darstellen. Es reicht eben nicht, den Rückfall von Jakes Schwester einzuschieben, um noch etwas Tempo zu erzeugen. Oder die Hintergründe um das Verschwinden von Claires Sohn nur sehr leichtfertig verschleiern zu wollen, wo im ersten Moment ziemlich eindeutig ist, wohin es Claire am Ende verschlagen wird.

Abseits der holprigen Dramaturgie und der nur soliden schauspielerischen Leistung kann „Crisis“ der soweit guten Mittelmäßigkeit auch optisch nicht mehr viel hinzufügen. Eigentlich in der Gegend um Montreal oder Detroit angesiedelt, bleibt auch diese Szenerie weitestgehend im Hintergrund, obwohl gerade Detroit auch eine der Städte ist, die die Wucht der Opioid-Krise mehr als deutlich zu spüren bekommt.

Insgesamt ist das Thriller-Drama also in vielerlei Hinsicht zu vage und verpasst die Chance, starke Charaktere und eine fesselnde Geschichte zu etablieren, die sich zum einen weniger austauschbar zeigen könnte – und die Krise zum anderen mit gezielterer dramaturgischer und thematischer Schwerpunktsetzung innerhalb der zwei Stunden Laufzeit detailreicher und griffiger auf den Punkt gebracht hätte: Manchmal ist weniger eben doch mehr.

Fazit

Fast zu übermotiviert zeigt sich „Crisis“ in der Auserzählung von unterschiedlichen Handlungssträngen, die in sich durchweg das Potenzial für einen eigenen Film gehabt hätten. Anhand der dramaturgischen Fülle und der damit einhergehenden augenscheinlichen Überbesetzung verstrickt sich der Film aber in zu schablonenhaften und austauschbaren Charakteren und Handlungen und wird am Ende der Brisanz der Kernthematik kaum gerecht. Obgleich das Endergebnis dann doch solide daherkommt, wäre noch reichlich Luft nach oben gewesen.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

„Crisis“ ist seit 21.5. auf BluRay & DVD verfügbar.

Bilder: (c) Capelight Pictures