Vater Antoine (Pierre Deladonchamps) und Sohn Melvil (Zoé Iorio) sitzen gemeinsam auf dem Boden des Kinderzimmers und bauen enthusiastisch Türme aus bunten Bauklötzen. Ein kleiner, nahezu idyllischer Moment im gemütlichen heimischen Familiennest eines Pariser Appartements. Das spielerische Zusammensein wird nur durch laute Schritte im Treppenhaus unterbrochen, die in die ruhige Wohnung dringen. Schrittgeräusche, die denen von Hélène (Camélia Jordana) ähneln. Beide blicken gebannt, hoffnungsvoll und sehnsüchtig zur Tür. Aber Hélène wird das Apartment nie wieder betreten – was bleibt, ist die schmerzhafte Realität ihrer Abwesenheit. Denn zwei Tage zuvor verlor die junge Ehefrau und Mutter während der islamistischen Terroranschläge im Pariser Club Bataclan ihr Leben.

von Madeleine Eger aus Hamburg

Während Isaki Lacuesta mit „Frieden, Liebe und Death Metal“, der Anfang des Jahres im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurde, das Trauma eines Paares mit eingeflochtenen nachdrücklichen Passagen des Anschlags aufarbeitet, erzählt das Drama von Regisseur Kilian Riedhof (Miniserie „Gladbeck“) konsequent von den Nachwirkungen und der Bewältigung von Trauer und Verlust aus der Sicht einer einzelnen Person als Teil dieses kollektiven Traumas. Riedhof, dessen Film auf dem Filmfest in Locarno Premiere feierte, stützt sich dabei auf die Kurzmemoiren von Antoine Leiris, die auf dessen Facebookpost beruhen, der damals mit den Worten „Meinen Hass bekommt ihr nicht.“ um die Welt ging.

Das Drama mit dem gleichnamigen Titel beginnt jedoch wenige Stunden vor dem Attentat. Für die kleine Familie ist die Welt da noch in Ordnung. Denn was sind schon das vermisste Plüschtier des Sohnes, die widerwillig abgesagte Kretareise und Antoines Schreibblockade im Vergleich zu dem, was nunmehr unausweichlich in das Leben der Familie brechen wird? Der Film zeigt uns Hélène und Antoine zunächst trotz der kleinen Differenzen, als harmonisches Ehepaar, die sich liebevoll um ihren Sohn kümmern. Auch wenn Antoine seine Vaterrolle dabei bisher noch mit einer gewissen Passivität und Zurückhaltung ausfüllt. Was sich nicht zuletzt dadurch zeigt, dass er andere Väter aus der Kindergartengruppe nicht erkennt, die ihn auf der Straße grüßen (und sich in einem peinlich komischen Moment nur mit „Papa von Maxime“ vorstellen) oder die Zusammenstellung vom Frühstück von der Notiz am Kühlschrank ablesen muss. Als Hélène dann am Abend gut gelaunt zum Konzert aufbricht, verlaufen die gemeinsamen Stunden des Vater-Sohn-Gespanns auch noch ziemlich ruhig. Bis Antoine später die ersten Textnachrichten aus seinem Familienkreis erreichen.

Die erste Nachricht ignoriert er noch, mit der zweiten kommt die Verwunderung. Ob sie in Sicherheit seinen, wird er gefragt. Plötzlich heulen mehr und mehr Sirenen durch die Straßen, das Blaulicht zuckt durch das Schlafzimmer, und wir werden Zeuge, wie sich die Atmosphäre für Antoine, der erst jetzt den Fernseher anschaltet, schlagartig ändert. Mit den Nachrichten sieht man in dessen Augen Panik, Ungewissheit und Hilflosigkeit aufsteigen. Wie benebelt wirkt er fortan. Getrieben durch die nächtlichen Straßen, auf der Suche nach seiner Frau mit der Hoffnung, sie in einem der städtischen Krankenhäuser zu finden. Nur langsam bahnt sich die schmerzhafte Realität ihren Weg in die Gedanken des Mannes, der erst so richtig zu begreifen scheint, wie schlimm die Lage tatsächlich ist, als er in der Notaufnahme auf andere zum Teil schwer verletzte Opfer des Anschlags trifft. Eine Szenerie, die der Regisseur bewusst mit Zurückhaltung inszeniert, um sich auf seinen Hauptcharakter zu fokussieren, für den die Zeit ganz plötzlich langsamer zu laufen scheint. Im Laufe der Nacht wirkt Antoine dann auch zusehends überfordert und verschlossen gegenüber seinen Angehörigen, die bemüht sind, ihm unter die Arme zu greifen, ihn in den kommenden Tagen allerdings immer weniger verstehen werden.

„Meinen Hass bekommt ihr nicht“ zeigt damit eine Familiendynamik am Rande der Zerbrechlichkeit. Oft kommt es im Familienkreis wegen der augenscheinlichen Flucht vor der Auseinandersetzung mit dem Tod sowie der Beerdigung von Hélène und das scheinbare Überspielen des Verlusts immer häufiger zu Problemen. Die angespannten, aber bewusst ruhig gefilmten Situationen lassen oft klärende Dialoge vermissen, gewinnen aber gerade dadurch an emotionale Stärke. Nicht zuletzt auch wegen Pierre Deladonchamps, der es schafft mit seinem zurückgenommenen Schauspiel all das, was sich in Antoine abspielt, nach außen zu tragen. Egal ob es Wut, Verzweiflung oder das erdrückende Gefühl der ungewollten Internetbekanntheit ist, der Schauspieler porträtiert die Emotionen seiner Figur dennoch spürbar und mit Nachdruck. Gerade wenn es darum geht, seinem von der Situation verwirrten Kind Sicherheit, Kontinuität und der Trauer zum Trotz Freude zu spenden, ist nicht nur Deladonchamps berührend. Die dreijährige Zoé Iorio ist beeindruckend überzeugend und erweist sich als herausragende Besetzung für die Rolle von Antoins Sohn, der noch nicht verstehen kann, warum er seine Mutter zwar auf Bildern im Fernsehen, aber nie wieder zu Hause sehen kann.

FAZIT

Detailliert, jedoch niemals grenzüberschreitend oder ausbeuterisch begleitet das Drama die Trauerbewältigung einer Familie, eines Ehemannes, dessen Frau Opfer des Pariser Anschlags im Bataclan geworden ist. Basierend auf der Autobiografie ist „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ ein berührender Film über eine Nacht, die alles veränderte und die Herausforderungen eines Mannes, Erinnerungen lebendig zu erhalten, Nähe und Distanz zuzulassen und das Leben danach neu zu sortieren.

BEWERTUNG

Bewertung: 7 von 10.

(65/100)

Ab 10.11.2022 regulär im Kino.

Bild: © TOBIS Film GmbH