Ob er sein „Triangle of Sadness“ entspannen könne, wird das Male-Model Carl beim Casting gefragt. Gemeint ist damit der kleine Bereich zwischen den Augenbrauen. Und während die Castingagenten unhörbar für Carl darüber diskutieren, ob man da schon mit Botox was machen müsse, ist sich die Autorin dieser Zeilen nach gut zweieinhalb Stunden hingegen ziemlich sicher, dass sie zwar ohne Botox auskommt, aber an der Stelle eine winzige Falte mehr mit nach Hause genommen hat.

von Madeleine Eger aus Hamburg

Ruben Östlund, zum zweiten Mal in Cannes mit der goldenen Palme ausgezeichnet, schließt mit seiner neuen zynischen Satire eine lose ineinandergreifende Trilogie ab. „Triangle of Sadness“ ist der dritte Film des Schweden, in dem männliche Charaktere im Mittelpunkt stehen, die an gesellschaftlichen Erwartungen und eigenen Unsicherheiten zerbrechen. Sie wirken komplett verloren, während um sie herum zwischenmenschliche Inkompetenz und krankende Gesellschaftsstrukturen von Östlund ad absurdum geführt werden. Wurde „Höhere Gewalt“ noch zur Beobachtungsstudie einer aus den Fugen geratenen Beziehung, bediente sich „The Square“ dem Frontalangriff auf die Kunstszene. In „Triangle of Sadness“ versammelt sich nun die Welt der Reichen und Schönen für eine Luxusbootstour, die dem sicheren Untergang geweiht ist. Und das nicht nur wegen des schweren Sturms, der die Gäste zu (wenn auch wenig ansehnlich) körperlichen Höchstleitungen herausfordert, sondern auch, weil Östlund sich in einem Meer aus unverblümter platter Sozialkritik ertränkt, die sich für klüger hält, als sie am Ende tatsächlich ist.

Das minder erfolgreiche Male-Model Carl (Harris Dickinson) und die bekannte Influencerin Yaya (Charlbi Dean) führen eine ungleiche Beziehung. Eine Einladung zu einem Trip auf einer Luxusjacht scheint die perfekte Gelegenheit, um diese noch zu retten. Während sich das Paar dabei über den kostenlosen Luxus freut, treffen sich auf der Jacht die wirklich Superreichen. Den dauerbetrunkenen Kapitän des Schiffes (Woody Harrelson) hingegen interessieren seine Gäste herzlich wenig und entgegen jeder Empfehlung wird das Captain’s Dinner während eines heftigen Sturms ausgerichtet. Als dann auch noch Piraten mit ins Spiel kommen, die Jacht sinkt und einige Überlebende auf einer einsamen Insel stranden, gerät das Konstrukt der klaren Hierarchien aus den Fugen.

Spätestens seit „The Square“ weiß man bei Ruben Östlund: Ein Verfechter von ausgeklügeltem und nuanciertem Subtext ist der Schwede nicht. Aufgeteilt in drei Kapitel beginnt „Triangle of Sadness“ zunächst in der ausbeuterischen Modewelt. Schon hier hält sich der Regisseur nicht damit zurück, seine Beobachtungen (oder vielmehr die Geschichten seiner Frau, die Modefotografin ist) und Kritik an dem Milieu offen zur Schau zu stellen. Das erste Interview beim Casting für Carl beginnt bereits mit den Fragen, ob er damit zufrieden sei, nicht einmal halb soviel wie die weiblichen Models zu verdienen und in einer Umgebung zu arbeiten, wo gleichgeschlechtlicher Sex auch als Währung akzeptiert wird. Auch die folgenden Situationen lassen kein gutes Haar an der Branche, die Oberflächlichkeiten zelebriert. Sprüchen im Hintergrund einer Show, bei der Carl erneut seine Nichtigkeit zu spüren bekommt, triefen dabei förmlich von Sarkasmus. Da heißt es beispielsweise „Ein neues Klima erhält Einzug in die Welt…der Mode“ oder „Jeder ist jetzt gleichberechtigt“.

Gleichberechtigung, ohnehin ein Thema, an dem sich der schwedische Regisseur gern abarbeitet. Viel spannender als der kurze Ausflug in die Modewelt ist die hitzige Diskussion, die zwischen Carl und Yaya entbrennt, als die Rechnung vom Abendessen an den Tisch gebracht wird und Erwartungshaltungen sowie Geschlechterrollen infrage gestellt werden. Hier zeigt sich die Stärke von Östlund, der in den Augenblicken ein gutes Gespür für Details beweist und die Situation mit seinem tollen Schauspielpaar gekonnt bis aufs Äußerste ausreizt. Mit Yayas Bemerkung „über Geld reden ist unsexy“ ist für Carl das Ganze nämlich noch lange nicht erledigt.

Auch in den beiden folgenden Kapiteln, die sich zunächst auf der Jacht und dann später auf der Insel abspielen, sind es Gesellschaftsstrukturen, die weiter im Fokus der nunmehr slapstickartigen Satire stehen. Während sich beispielsweise die Reisebegleiter mit Aussicht auf reichhaltiges Trinkgeld in Ekstase brüllen und im wahrsten Sinne des Wortes auf den Köpfen der anderen Crewmitglieder herumtrampeln, die im Rumpf der Jacht ein unsichtbares, aber unverzichtbares Dasein fristen, wird extra für die Gattin des Oligarchen Nutella eingeflogen. So hangelt sich „Triangle of Sadness“ von einem plakativ absurden Moment zum nächsten und gipfelt in einem Gourmetdinner, bei dem Dekadenz und Habgier in Form von Champagner, Oktopusarmen und Algengelee auf dem Tisch landet und bis zum Erbrechen die gierigen Hälse hinunter fließt. Und das meinen wir an dieser Stelle auch wörtlich. Sensibilität ist hier tatsächlich fehl am Platz, wenn die Jacht in einer Flut aus Körperflüssigkeiten und Exkrementen versinkt und die Passagiere durchtränkt in den tosenden Wellen eines stürmischen Umbruchs durch ihre Zimmer schaukeln.

Ein Höhepunkt, dem „Triangle of Sadness“ mit seinem letzten Kapitel dann leider nicht mehr viel hinzuzufügen hat. Auch wenn sich nach dem Schiffbruch die verbliebenen Gäste mit neuen Machtverhältnissen arrangieren müssen und ganz plötzlich Abigail (fantastisch: Dolly de Leon), die unscheinbare Reinigungskraft das Sagen hat. „Triangle of Sadness“ wirkt schlussendlich erzählerisch zu ausgefasert und deutlich zu lang, um noch mit voller Wucht dort zu landen, wo es wirklich wehtut.

Fazit

Mit aneinander gereihten, oft zu ausgedehnten sketchartigen satirischen Momenten, die sich auf platte Sozial- und Branchenkritik stützen, kann man Spaß haben, viel zu oft bleiben leere Lacher in „Triangle of Sadness“ dann allerdings doch im Halse stecken.

Bewertung

Bewertung: 3 von 10.

(30/100)

„Triangle of Sadness“ wurde im Rahmen des Filmfest Hamburg gesehen und startet am 13.10. im Kino (Ö & D)

Bild: (c) Fredrik Wenzel / Alamode Film