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Best-of Indie-Mags: Hamam

Interview-Reihe über Indie-Mags und ihre Macher: Heute Ekin Balcioglu und Steve Weiner von Hamam, dem »Magazine of Letting Go« aus Istanbul und Taos, das sich der Kultur des Badens widmet.

In PAGE 2.2021 zeigen wir die aktuell spannendsten Independent Magazine, erzählen wie sie entstehen und von ihren Machern. Hier die Interviews mit ihnen.

Heute mit Ekin Balcioglu und Steve Weiner, die Gemeinschaftsbäder lieben, türkische Badehäuser und russische Banyas und deshalb mit ihrem Magazin Hamam durch die Welt des »Letting Go« führen – von mongolischen Ritualen über japanisches Waldbaden zu Schwitzorgien auf Marmor.

Wie ist die Idee für das Hamam Magazin entstanden? Was habt ihr mit Bädern zu tun?

Ekin Balcioglu: Ich bin Künstlerin, habe am Central Saint Martins in London und am California College of the Arts studiert. Aufgewachsen aber bin ich in Istanbul, wo Badekultur eine große Rolle spielt. Dennoch habe ich selbst mit dem Gemeinschaftsbaden erst in New York begonnen. Dort bin ich in türkische und russische Bäder gegangen und habe die interessantesten Menschen überhaupt getroffen, Künstler, Schriftsteller, die unterschiedlichsten Kreativen und sogar Rabbiner. Später in San Francisco war ich so begeistert von der Kultur im russischen Archimedes Banya, dass ich ein Wenik-Master wurde. Ein Wenik besteht aus frischen Birkenzweigen mit denen man beim Saunen den Körper abschlägt, damit das Blut besser zirkuliert. Ich habe dann auch angefangen für ihr Banya-Magazin zu schreiben, es zu gestalten und schließlich auch Steve im Archimedes Banya getroffen.

Steve Weiner: Nachdem ich Offizier auf einem Atom-U-Boot war, habe ich im Silicon Valley als Technologie-Spezialist gearbeitet und bin ins Archimedes Banya gegangen, um zu entspannen.

Ekin: Wegen meiner Begeisterung für das Bad habe ich lange überlegt, ob ich dort ein Kunstprojekt machen soll. Doch dann hatte Steve die Idee mit dem Magazin. Und da man in ein Bad schlecht seine technischen Geräte mitnehmen kann, sollte es ein schönes, klassisches Magazin werden, gedruckt auf Papier.

Ist die erste Ausgabe von Hamam in San Francisco entstanden oder in Taos, wo ihr jetzt gerade lebt?

Steve: Eigentlich auch in Istanbul. Denn dorthin sind wir Anfang des letzten Jahres gefahren, um Ekins Eltern zu besuchen. Als wir dort waren, kam die Pandemie und die Türkei hat ihren Flugverkehr eingestellt und auch unser Rückflug nach San Francisco wurde gecancelt. Wir waren schließlich zwei wundervolle Monate dort, haben auf dem Land am Meer gewohnt und als wir zurück nach San Francisco kamen, begann dann hier der Lockdown. In dieser ganzen Zeit ist Hamam entstanden. Schließlich haben wir beschlossen, für ein paar Monate auf einen Roadtrip zu gehen und weil es uns hier in Taos, New Mexiko, so gut gefallen hat, haben wir beschlossen, hier zu bleiben.

Editorial Design wie ein Fluss

Das Magazin ist sehr aufwendig gestaltet, mit verschiedenen Papieren, verschiedenen Veredlungen, ungewöhnlicher Typografie. Sollte es unbedingt ein sinnliches Erlebnis sein?

Ekin: Wir wollten etwas schaffen, dass nicht nur mt dem türkischen Hamam zu tun hat, wie der Titel glauben lassen könnte, sondern das mit dem Baden auf der ganzen Welt zu tun haben soll. Schließlich verbindet die Badekultur die verschiedensten Nationen und Menschen. Deshalb wollten wir ein Wortlogo, das flexibel ist und sich immer wieder verändern kann. Es kann schmelzen, sich auflösen, lang und kurz sein, konkav oder konvex. Und genauso abwechslungsreich sollte auch unser Editorial Design sein und sich abhängig vom Inhalt verändern. Den Text über Waldbaden haben wir so versucht, aufzumachen, dass man sich in einem Wald fühlt und zeigen riesige Bäume. Bei dem Interview mit einem mongolischen Filmemacher über eine Letting-Go-Zeremonie seiner Heimat, ist der Text ganz flüchtig gestaltet, damit er wirkt, als würde er sich auflösen und bei der Fotografie haben wir Doppelbelichtungen genutzt. Jede Geschichte setzen wir ganz individuell in Szene.

Setzt du darin auch Ideen um, die du vorher schon als Künstlerin hattest?

Ekin: Auf jeden Fall. Als Malerin ist das Papier für mich wie eine Leinwand und das Heft für mich wie ein Fluss durch den die Geschichten fließen, auch wenn die Gestaltung der einzelnen Seiten stark variiert. Die Ideale, die wir im Leben haben, wollen wir auch in dem Magazin umsetzen. Es steht für die Freiheit des Ausdrucks und die Freiheit der Ideen und wir wollen die unterschiedlichsten Stimmen zulassen.

Wie habt ihr die Geschichten, die Künstler, die Kreativen und Journalisten gefunden?

Ekin: Durch Freunde und Familie. Ich komme aus einer Künstlerfamilie, meine Mutter ist Architektin, mein Vater hat Grafikdesign studiert und hat eine Kunstgalerie. Mein Onkel, der Akademiker ist, hat uns mit Wissenschaftlern zusammengebracht. Gleichzeitig habe ich unglaublich viel selbst recherchiet, das ist eine Arbeit, die ich liebe. Aber wir haben auch einen Open Call. Für die zweite Ausgabe auch einen für Illustratoren.

Und wie arbeitet ihr zusammen?

Steve: Wir sind ja ein Paar, da vermischen sich die Aufgaben etwas. Aber Ekin ist für alles Inhaltliche und für das Kreative zuständig, ich für das Business. Ich kümmere mich um Sales, Shopping, Kunden und Vertrieb.

Abwechslungsreich gestaltet, edel gedruckt

Wie finanziert ihr Hamam?

Steve: Wir hatten eine Kickstarter-Kampagne, die fast die gesamte erste Ausgabe inklusive Druck abgedeckt hat. Mit Covid ist alles etwas schwieriger geworden, aber es klappt. Ich selbst bezeichne mich als Business-Designer, als jemand, der neue Ideen auf den Markt bringt. Das habe ich bereits mit meinen eigenen Firmen und auch als Berater getan und jetzt mache ich es mit Hamam. Mein Fokus ist sehr auf den Leser ausgerichtet und das Gute ist, dass wir die Bade-Gemeinschaft, sehr gut verstehen, da wir selbst ein Teil von ihr sind. Wir wussten, dass es es zu wenig Inhalte für sie gibt und kein Sprachrohr, das die weltweite Community verbindet. Das Bedürfnis ist während der Pandemie sogar noch gestiegen, da viele Bäder geschlossen haben. Mit Hamam versuchen wir, diese Lücke zu schließen. Und das sehr hochwertig aufgemacht. Hamam wurde bei Offset in Istanbul gedruckt, einer international bekannten, hochkarätigen Druckerei, die auf Kunstkataloge spezialisiert ist.

Ich habe gesehen, dass es Hamam auch bei do you read me?! hier in Berlin gibt.

Steve: Ja, ist das nicht cool? Wir haben Vertriebe wetweit und bieten Hamam auch über die Website und über Instagram an. Für den Verkauf sind Social Media wirklich wichtig, weil wir da direkt und ohne Abschläge verkaufen und gleichzeitig Kontakt zu unser Community haben und uns austauschen können. Wir sind und bleiben aber ein gedrucktes Magazin. Während Covid-19 haben wir schon über eine digitale Version nachgedacht. Aber diese Option mochte schon bei unser Kickstarter-Kampagne niemand.

Ekin: Auch als Malerin ist mir Papier sehr wichtig, seine Vielfalt und seine Gestaltungsmöglichkeiten, seine verschiedenen Stärken und Haptiken und Veredelungen. Unser Cover ist metallisch und es reflektiert, wenn man es bewegt. Das sind alles Dinge, die mir sehr wichtig sind.

Steve: Und vor allem natülich auch, dass man ein Printmagazin viel einfacher mit ins Gemeinschaftsbad mitnehmen kann.

Wann wird die nächste Ausgabe von HAMAM erscheinen?

Ekin: Ende 2020. Wir haben uns vorgenommen, dass es vierteljährlich erscheint, zur jeder Jahreszeit ein Heft sozusagen.

Hamam Location Istanbul/Taos; Founded 2020; 132 Seiten, 23 Euro

Weitere Interviews: Aaron Beebee und Thomas Schostock von Plastikcomb; Lisa H. Moura vom Alien Magazine; Anna Broujean von Club Sandwich, Lukas Dubro vom Kapsel Magazin, Sophia Weidner, Lucas Hesse von Ruhm & Ego, Ayomide »Mimi« Aborowa vom Irin Journal

Ekin Balcıoglu, Artdirektorin des Hamam Magazin

 

 

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Making-of: Gedruckte Lautsprecher von der TU Chemnitz

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