Von den inneren Schafhirten, die unsere Beziehungen behüten. 
Und wie wir die Bedrohung durch die apokalyptischen Reiter abwehren.
Biegun Wschodni, unsplash.com

Von den inneren Schafhirten, die unsere Beziehungen behüten. Und wie wir die Bedrohung durch die apokalyptischen Reiter abwehren.

Jeder kennt das wahrscheinlich. Du sitzt an deinem Computer, relativ ruhig, konzentriert und fokussiert an einer Aufgabe. Plötzlich poppt eine E-Mail auf, eine WhatsApp, Slack-Nachricht oder ähnliches. Schon der Absender macht dich irgendwie nervös, noch bemerkst du es aber nicht. Dann überfliegst du die Nachricht, und der Inhalt bringt dich sofort in einen überflutenden Erregungszustand. In deiner Realität empfindest du das Gelesene als Angriffe gegen deine Person, gegen deine Arbeit und deinen Einsatz für die Aufgabe. Du fühlst dich als Opfer und zurückversetzt in Abwertungserlebnisse deiner Kindheit - und ein Teil in dir schlägt sofort zurück. Die archaischen Notfallprogramme werden aktiviert und deine Antwort an den Absender wird jetzt noch zerstörerischer und abwertender wirken als die erhaltene Nachricht. Für die apokalyptischen Reiter unserer Beziehungen ist das die beste Zeit. Sie können ihre Angriffe und Attacken in rasender Geschwindigkeit umsetzen, und irgendwann kommen wir so langsam wieder zur Besinnung und fragen uns: Wer war das, der gerade diese beleidigende Antwort verfasst und abgeschickt hat? Ich doch nicht! Das war dann einer deiner vier apokalyptischen Beziehungs-Reiter.

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Die vier apokalyptischen Reiter sind ein uraltes biblisches Bild aus der Offenbarung des Johannes, die Boten der nahenden Apokalypse, des baldigen Weltuntergangs und jüngsten Gerichts. Sie stehen für Machtmissbrauch, Angst, Krieg und Tod. Albrecht Dürer hat das in einem Holzschnitt eindrucksvoll visualisiert. Der amerikanische Psychologe John Gottman hat das Bild der apokalyptischen Reiter auf Beziehungen übertragen und die vier “Kommunikationssünden” von Beziehungen erforscht, die gedeihliches Zusammenwirken von Menschen dauerhaft ruinieren können. Während Gottman das Konzept sehr konkret auf Paarbeziehungen ausgelegt hat, habe ich in meiner Coaching-Praxis festgestellt, wie hilfreich dieses Konzept für Organisationshygiene, Teambeziehungen und Zusammenarbeit ist. Deswegen möchte ich es hier etwas ausführlicherer beschreiben.

Welche sind jetzt die apokalyptischen Reiter unserer Beziehungen, die wir schon so oft getroffen haben?

Vier Verhaltensweisen triggern in ganz besonderer Weise unser negative Erleben von Mitmenschen, Partnern, Kollegen:

Kritik: Angriffe auf Persönlichkeit, Charakter, Wissen, Professionalität, besonders mit Worten. Deshalb sind Kurzmitteilungen so gefährlich, weil sie meistens nur den negativen Teil ansprechen. Es soll ja schnell gehen. Und dann geht es auch schnell, aber leider in die ganz falsche Richtung, nämlich bergab in den apokalyptischen Beziehungs-Keller.

Geringschätzung und Verachtung: Angriffe auf das Selbstwertgefühl durch Beleidigungen, Beschimpfungen und Abwertung. Dies kann mit Worten, aber auch mit Tonfall, Gesten, Mimik und Körperhaltung erfolgen. Oft genügen kleine Auslöser, die als feindlich gedeutet werden, und dann rasend schnell zu einer Explosion führen.

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Verteidigung und Abwehrhaltung: Sofort dagegen halten, leugnen oder rechtfertigen. Sich selbst als Opfer eines empfundenen Angriffs darstellen, inszenieren und den Vorwurf umkehren. Etwa "Stimmt doch so überhaupt nicht, und du machst das ja genau so!"

Blockieren und Mauern: Sich zurückziehen, Auseinandersetzung vermeiden. Beleidigt sein und Missbilligung, Distanz und Abgrenzung signalisieren. Kontakt abbrechen. Den Anderen ignorieren. Das Feld verlassen.

Als hypnosystemischer Coach gestalte ich Lösungen immer Ressourcen-orientiert. Ich bin immer auf der Suche nach positiven, kraftvollen Bildern, die den angestrebten Zustand in der Zukunft symbolisieren. In einem spannungsgeladenem Beziehungsgeschehen wollen wir ja schnell in wieder an einen sicheren Ort, in eine stabile Umgebung kommen, die wir als friedlich, wertschätzend und positiv erleben.

In einem spannungsgeladenem Beziehungsgeschehen wollen wir ja schnell in wieder an einen sicheren Ort, in eine stabile Umgebung kommen, die wir als friedlich, wertschätzend und positiv erleben.

Und wir wollen weiter zu unserer Herde gehören. Deshalb habe ich das starke, positive Gefühle hervorrufende Bild der vier Schafhirten entwickelt, die unsere Beziehungen behüten. Das steht im Vordergrund meiner Coachings-Sessions.

Die vier Schafhirten, die unsere Beziehungen behüten

Wer sind die vier Schafhirten, mit denen wir erfüllende Beziehungen in unserer Privatwelt und unserem professionellen Leben wirksam gestalten können? 

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  • Behutsam anfangen: Lasse dir am Anfang Zeit, um mit deinem Gegenüber in Resonanz zu kommen. Beginne mit einem Check-in, um Verbindung aufzunehmen. Falle nicht gleich mit der Tür ins Haus. Sprich über deine Gefühl in achtsamen "Ich"-Botschaften und beschreibe Deine Bedürfnisse.
  • Kultur der Anerkennung: Erinnere dich an die positiven Qualitäten deines Gegenüber und wertschätze seine positiven Seiten. Es gibt immer welche, du musst sie nur suchen! Je ungewisser und neuer die Situation und Umgebung sind, desto mehr Anerkennung ist notwendig, um ein Gefühl von psychologischer Sicherheit zu erzeugen.
  • Verantwortung übernehmen: Nehme den Anderen, seine momentane Realität und seine gefühlte Stimmung an. Akzeptiere die Perspektive deines Gegenüber und biete Entschuldigungen für Fehler oder Missverständnisse an. Übernimm die Verantwortung und Steuerung des Geschehens. Dann können konstruktive Zusammenarbeit und gedeihliche Ko-Kreation beginnen.
  • Körperliche Selbstregulation: Spüre dich selbst in der Beziehung mit anderen. Wie geht dein Atem? Wo hast du gerade eine körperliche Reaktion, wo spürst du etwas? Nimm eine Pause und fokussiere auf etwas Beruhigendes und Ablenkendes. Eventuell ist es auch gut, das "Feld" erstmal zu verlassen, um wieder zu dir selbst zu kommen.

Schafhirten und apokalyptische Reiter stehen in enger Beziehung zu einander. Die Schafhirten können viel zur Beruhigung der apokalyptischen Reiter beitragen und sie vielleicht sogar Schritt für Schritt hin zu freudigen, gelassenen und spielerischen Freizeitreitern transformieren. So sieht mein Blick auf das Zusammenwirken aus:

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Wie kann es uns jetzt gelingen, die Attacken der apokalyptischen Reiter frühzeitig zu erkennen und zu regulieren? Viktor Frankl, der berühmte österreichische Psychiater, der Ausschwitz überlebt hat, schreibt:

„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit."

Von der modernen Neurobiologie wissen wir, dass Gefühle und unbewusst wirkende Impulse ganz grob gesagt hundert mal schneller sind als bewusstes und regulierendes Denken. Bis wir realisiert haben, dass die apokalyptischen Reiter losgeritten sind, und schnell einen Schritt vorwärts gehen wollen, sind sie bereits uneinholbar hundert Schritte weiter davon geritten und haben schon jede Menge Schaden verursacht. Hier setzt hypnosystemische Lösungsgestaltung an. Wie kann ich den Raum zwischen Reiz und Reaktion ausweiten, um mehr Freiheit zu gewinnen? Wie kann ich die apokalyptischen Reiter frühzeitig willkommen heißen und mit Ihnen in einen guten Kontakt kommen? Wie kann Teamkultur und Kommunikationskultur gedeihlich in Organisationen entwickelt werden, damit möglichst wenige apokalyptische Reiter unterwegs sind? Hier nutze ich als hypnosystemischer Unternehmer-Coach mit großer Freude unter anderem Lösungs-Trancen und Grüße an das Innere der Klienten. Wer sich in seiner Organisation oder im Team mehr konstruktive Hirten und gedeihliche, freudig zusammenwirkende Herden wünscht und weniger apokalyptische Reiter, kann mich gerne jederzeit ansprechen. Ich freue mich darauf!

Quelle: The Gottman Institute: The Four Horsemen of the Apocalypse, Alle Fotos: unsplash.com, Abbildung Holzschnitt Albrecht Dürer "Die 4 apokalyptischen Reiter", Referenz: Typ Inc 2121A, Houghton Library, Harvard University

Susanne Schwalme (geb.Lypold)

Ermutigerin I Change-Begleiterin I Expertin für Selbst-Führung in Führung

3y

Ein wertvoller Beitrag, Klaus, dank Dir für die Bilder. Um den Raum zwischen Reiz und Reaktion zu vergrößern braucht mensch Übung. Verlangsamung. Zunächst die innere Erlaubnis in eigener Zeit zu agieren, und die Bereitschaft die eigenen Emotionen selbst zu regulieren. Und die dafür nötigen Tools. All dies ins Bewustsein und ins Training zu bringen ist sicher eine der Kernaufgaben von Coaches.

Andrea Spieth

Managing Partner Trigon Entwicklungsberatung

3y

Vielen Dank, Klaus, für diese wunderbar nachvollziehbare Darstellung mit viel Tiefgang.

Gleich mal geteilt !!! Tolle Ausarbeitung

Die verwendeten Analogien gefallen mir besonders gut 😉 - well done Klaus Haasis und ein wertvoller Artikel für alle, die an mehr konstruktiven, friedvollen und wirksamen Gestalten interessiert sind

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